Wie kann ich mich als produzierendes oder handelndes Unternehmen darauf einstellen, wenn ich fehlende Materialien für meine Produktion habe, weil diese auf einem Schiff im Suezkanal stecken oder mein Kunde für nächste Woche seinen Bedarf verdoppelt? Szenarien, die eine enorme Herausforderung für Supply-Chain-Planerinnen und -Planer darstellen. Um diese kalkulierbar zu machen, braucht es die richtigen Werkzeuge, die nicht nur einzelne Unternehmensstandorte, sondern den gesamten Wertschöpfungsprozess abbilden. Mit seinem Digital Supply Chain Twin will das Start-up TVINN Unternehmen genau dies bieten. Die Idee dazu reifte im Zuge eines Forschungsprojekts über Digital Supply Chain Twins (DSCT) am Fachgebiet Logistik der TU Berlin, das Mitgründer und CEO Dr. Simon Zarnitz durchführte. Dort lernte er Dr. Benno Gerlach kennen, der ebenfalls im Forschungsfeld der DSCT tätig war.
„Während unserer wissenschaftlichen Tätigkeit haben wir zahlreiche Fallstudien sowohl in der Lehre als auch in unserer Forschung mit Industriepartnern durchgeführt. Dabei sind wir auf erhebliche Ineffizienzen innerhalb von Wertschöpfungssystemen gestoßen, die sowohl wirtschaftliche Auswirkungen für die Unternehmen als auch ökologische Konsequenzen für das Klima nach sich ziehen“, so der heutige TVINN-CPO Gerlach.
CEO Zarnitz ergänzt: „Verbraucherinnern und Verbraucher haben eine wachsende Sensibilität für ihren ökologischen Fußabdruck, welcher sich bei einigen beispielsweise in einem Rückgang von Flugreisen zeigt. Andererseits konnten wir in unserer Arbeit sehen, dass die Industrie täglich Millionen von Teilen durch die Luft transportiert, hauptsächlich aufgrund ineffizienter Planung. Mit unserer Software möchten wir der Industrie ein effektives Werkzeug an die Hand geben, um fundierte Entscheidungen zu treffen, die sowohl für das Unternehmen als auch für die Umwelt vorteilhaft sind“.
Gute Entscheidungen ohne aufwendigen Workaround
Meist sind es nicht die anfangs beschriebenen Extremszenarien, sondern alltäglichere Situationen, bei denen Planerinnen und Planer mit Herausforderungen wie plötzlichen Veränderungen in der Nachfrage von Kundinnen und Kunden oder Engpässen bei der Beschaffung von Komponenten oder Rohstoffen konfrontiert sind. Bis heute kommt es dabei oft zu Fehlkalkulationen oder Fehleinschätzungen. Der eigentliche Fehler liegt jedoch nicht bei den Planerinnen und Planern, sondern am Mangel systemischer Unterstützung.
„Es ist sehr mühsam und bislang kaum möglich, alle relevanten Informationen des Wertschöpfungsprozesses übersichtlich abzubilden und daraus resultierend eine unternehmerisch sinnvolle Entscheidung zu treffen“, erklärt Zarnitz und ergänzt: „Gerade bei sich ändernden Rahmenbedingungen müssen Planerinnen und Planer aber schnell handeln. TVINN trägt dazu bei, indem es resiliente Handlungsempfehlungen unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten liefert“.
Herzstück ist dabei der Digital Supply Chain-Twin, der als digitales Abbild eines realen Wertschöpfungsnetzwerks fungiert, das kontinuierlich Daten austauscht und Simulationen ermöglicht. Der Clou: Die erforderlichen Daten, um die Wertschöpfungsketten erfassen zu können, befinden sich bereits im ERP-System der Unternehmen. Der „Zwilling“ integriert eine Schnittstelle zum ERP-System, um die erforderlichen Daten zu generieren und sie nahtlos in die Systemlandschaft zurückzuspielen.
„Aus unserer Sicht ist es dabei entscheidend, dass die Oberfläche benutzerfreundlich, also übersichtlich und verständlich ist. Nur so können bessere und schnellere Entscheidungen getroffen werden, ohne auf weitere Workarounds angewiesen zu sein. Mit unserem Digital Supply Chain Twin stellen wir die Werkzeuge zur Verfügung, die es braucht, um effiziente und klimafreundliche Entscheidungen treffen zu können. Unsere Vision ist es, das Supply-Chain-Management weiter zu optimieren und umweltfreundlicher zu gestalten. Wir sind überzeugt davon, dass wir damit einen echten Impact auf Unternehmen, die Umwelt und die Gesellschaft haben können, so Gerlach“.
Erster Pilotkunde und weitere Investments
Wichtig war und ist den Impulsgebern Dr. Simon Zarnitz und Dr. Benno Gerlach dabei die persönliche Motivation für die Sache. Deshalb ging es noch vor der eigentlichen Gründung im März 2024 darum, ein Team zusammenzustellen, das einerseits die erforderlichen Skills besitzt und andererseits große Begeisterungsfähigkeit sowie Commitment für die gemeinsame Vision mitbringt. Aus zwei Gründern wurden so am Ende vier: Mohamed Ali Abdulmalik bringt als CTO umfangreiche Erfahrungen als Softwareentwickler mit. Mit über sieben Jahren Erfahrung am Fraunhofer-Institut und bei Gestalt Robotics ist er Experte im maschinellen Lernen, in der Robotik und in der Backend-Programmierung. Zudem ergänzt Simon Harck das Team als COO. Durch seine Erfahrungen im Consulting und in verschiedenen Start-ups komplettiert er TVINN mit umfassenden Kenntnissen in Wachstumsmaßnahmen, Vertrieb und Finanzmanagement.
In den nächsten Monaten liegt der Fokus des Start-ups vollständig auf der Weiterentwicklung des eigenen Produkts. Basis sind Einnahmen aus der Zusammenarbeit mit einem ersten Pilotkunden sowie das EXIST-Gründungsstipendium, das TVINN im Februar 2024 erhielt.
„Derzeit arbeiten wir eng mit unserem ersten Pilotkunden aus der automobilen Zulieferindustrie zusammen, um unsere DSCT-Lösung zu testen und weiterzuentwickeln. Zuletzt konnten wir auch das Interesse einiger Business Angels an unserem Geschäftsmodell wecken und erste Investments sichern. Im Laufe des Jahres werden wir unser Produkt auch weiteren Kunden anbieten können“, so Zarnitz.Wer den Digital Supply Chain Twin im Laufe des Jahres für sein Unternehmen testen will, kann sich bereits jetzt unter wearetvinn.com vormerken lassen.
Das Unternehmen ist größer als der Unternehmer
„Um neue Kontakte zu gewinnen, war auch der BPW eine gute Adresse. Während und nach der Prämierung konnten wir wertvolle Kontakte zu Industriepartnern, Investoren und anderen Mitgliedern der Start-up-Community knüpfen. Die entspannte und inspirierende Atmosphäre des Wettbewerbs hat uns besonders begeistert“, so Gerlach.
Dr. Simon Zarnitz befindet abschließend: „Stand jetzt lässt sich sagen, dass die Gründung von TVINN für uns alle der richtige Schritt war. Wir lernen jeden Tag etwas dazu und wachsen Stück für Stück in die Rolle der Unternehmer hinein. Uns begeistert es, eigenverantwortlich, schnell und agil zu arbeiten. Jeder von uns kennt seine Rolle bei TVINN, und es geht weniger um uns als Unternehmer, sondern vielmehr darum, dass alle unsere Entscheidungen im Sinne des Unternehmens getroffen werden. Wir sind überzeugt von unserer Vision und sehen derzeit mehr Möglichkeiten als Hindernisse. Wir lieben, was wir tun, und sind hoch motiviert, das Supply-Chain-Management von morgen aktiv mitzugestalten“.