Eine elektrisch angetriebene Gehhilfe für Kinder, eine digitale Therapiemöglichkeit für Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung und ein digitaler Coach für Betroffene von Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Die eingereichten Gründungsideen im Gesundheitsbereich beim BPW 2022 sind sehr innovativ. Auffällig ist jedoch, wie viele Gründerinnen und Gründer sich in diesem Jahr für einen Weg in diesem Markt entschieden haben. Dr. Kai Uwe Bindseil ist Clustermanager für Gesundheitswirtschaft in Berlin-Brandenburg und langjähriger Juror beim BPW. Er weiß, warum der Health-Markt so boomt, welche Rolle der Standort Berlin-Brandenburg dabei spielt und welche Tipps es für Gründungen im Gesundheitsbereich gibt.
Pandemie und Digitalisierung stimulieren Erfindergeist und motivieren zur Gründung
In allen drei Phasen des BPW standen sich Health-Startups im Finale gegenüber und pitchten ihre Innovationen im Gesundheitsbereich. Auch wenn sich die einzelnen Ideen und Konzepte unterschieden, stand der Gesundheitsaspekt bei allen Teams im Fokus. Dass es in diesem Jahr viele Gründungen im Bereich der Gesundheitswirtschaft gibt, liegt zum einen an der Pandemie. Die Rolle und das Bewusstsein sowohl für die Lebens- als auch für die Gesundheitswissenschaft sind mehr in den Mittelpunkt gerückt. Auch die Lösungen, die in diesem Feld entstehen können, werden mehr diskutiert und weiterentwickelt. Dazu gehören das Impfen, Testen, Therapie und digitale Lösungen. Die Zeit der Pandemie hat aber auch Gründerinnen und Gründer sowie Investorinnen und Investoren für die Gesundheitsbranche begeistert: „Wenn man sieht, dass andere Startups finanziert werden und sich positiv entwickeln, dann stimuliert das andere Gründerinnen und Gründer und neue Firmenideen entstehen. Und andersrum finden Geldgeber hier gute Möglichkeiten, ihr Geld einzubringen“, sagt Bindseil. Dieser wechselseitige Effekt lässt sich nicht nur beim BPW in Berlin-Brandenburg beobachten. „Auch im europäischen Raum zeigt sich, dass HealthTech noch vor Fin Tech das größte Investitionsfeld des Venture Capitals im Jahr 2022 bei den Seed-Finanzierungen ist.“
Was den Boom der Health-Startups zunehmend unterstützt, ist die Digitalisierung: „Hier war die Gesundheitswirtschaft lange Zeit eher hinterher, aber die neuen Lösungen ergeben ein neues Marktsegment, das viele Gründerinnen und Gründer anzieht“, erzählt Bindseil. Durch Digitale Gesundheitsanwendungen – kurz DiGas – kommen digitale Lösungen direkt zu den Endverbraucherinnen und -verbrauchern. „Das ist ein schwieriges und sich entwickelndes Feld. Die DiGas gibt es ja auch erst seit drei Jahren. Andere europäische Länder, wie beispielsweise Frankreich, beobachten diese Marktöffnung bei uns genau. Und das ist sehr positiv“, meint Bindseil. Aber auch im B2B-Bereich, zwischen Startups und der pharmazeutischen Industrie oder auch der Medizintechnik, eröffnen sich Chancen für Digitale Gesundheitsanwendungen.
Auch neue Technologien elektrisieren die Branche. Im Bereich der Zell- und Gentherapie sind Entwicklungen geplant und durch Künstliche Intelligenz können neue Anwendungen in der Diagnostik ermöglicht werden. „Und wir haben MRNA als neues Tool. Hier ist man ursprünglich nicht angetreten, um Covid-Impfstoffe zu entwickeln. Es ging vorrangig um die Aktivierung der Immunantwort - zum Beispiel für die Krebstherapie“, sagt Bindseil.
Berlin-Brandenburg ist Topstandort für Gesundheitswirtschaft
Wer als Startup in der Gesundheitsbranche Fuß fassen möchte, ist in Berlin und Brandenburg genau richtig. Eine Studie des vergangenen Jahres zeigt, dass Berlin im globalen Vergleich zu den führenden Life-Science-Standorten gehört. Hinter Boston und London liegt die deutsche Hauptstadt auf Platz drei. Der Grund: die sehr gute wissenschaftliche Vernetzung, Unterstützungssysteme und die Infrastruktur. „Kleine und mittlere Unternehmen finden in Berlin den richtigen Platz, um sich zu entwickeln, erhalten finanzielle Unterstützung und finden ein breites Netzwerk von großen Unternehmen und anderen Branchen“, erklärt Bindseil. In Brandenburg gibt es weitere starke Partner auf Augenhöhe: Potsdam ist mit der Universität, dem Hasso-Plattner-Institut, dem Max-Planck-Institut und dem Fraunhofer-Institut wissenschaftlich sehr gut vernetzt. In Cottbus und in der Lausitz entstehen in den nächsten Jahren eine neue Hochschulmedizin sowie neue Technologieparks. Hennigsdorf ist zudem ein starker Partner für das Thema Diagnostik.
Tipps zur Health-Startup-Gründung
Für Gründerinnen und Gründer von Health-Startups hat Dr. Kai Uwe Bindseil wichtige Hinweise, die es zu beachten gilt. So ist es in der Gesundheitswirtschaft beispielsweise besonders entscheidend, sein geistiges Eigentum zu schützen. Hier sollten die Unterstützungsangebote der Universitäten zur Patentanmeldung genutzt werden. Außerdem empfiehlt es sich, jemanden mit Branchen-Know-how im Team zu haben: „Ich muss jemanden dabeihaben, der weiß, wann und wo ich verkaufen kann und wie ich in den Markt komme. Und dafür braucht man Branchenwissen“, erklärt Bindseil. Es sollte zudem nicht zu früh gegründet werden: „Jeden Monat, den ich länger über ein Förderinstrumentarium finanzieren kann und somit länger meine Idee an einer wissenschaftlichen Einrichtung verfeinern kann, ist ein guter Monat.“ Wenn es dann soweit ist und gegründet werden kann, sollten Unterstützungsangebote von den Wirtschaftsfördergesellschaften, den Universitäten oder der BPW genutzt werden.